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Augustins philosophischer Grund 

  1. Einleitung
  2. Biographisches
  3. Stoa
  4. Cicero
  5. Aristoteles
  6. Skepsis
  7. Neuplatonismus
    1. Das geistige Etwas
    2. Plotin
  8. Fazit
  9. Literaturverzeichnis

7.2 Plotin

Plotin und sein Schüler Porphyrios waren die beiden Neuplatoniker, die Augustinus am meisten beeinflußten. Plotin wird als der herausragende Vertreter des Neuplatonismus beschrieben, daher soll seine Lehre hier kurz skizziert werden:

 Plotin teilt die Welt ein in verschiedene Stufen:1
 
1. Hen (Eines, das Eine) 
2. Nous (Intelligenz, Geist, Vernunft, Verstand)
3. Psyche (Seele, das Seelische, Leben)
kosmos noetos,  intelligible Welt, obere Welt
4. Sternenwelt (uranos) 
5. Mensch
6. Tiere
7. Pflanzen 
8. Unorganisches, Unbelebtes
9. Materie (hyle) 
kosmos aisthetos, sensible, sinnliche, sinnlich wahrnehmbare, untere Welt

Alle Stufen zusammen bilden die Eine Wirklichkeit.

 Die ersten drei Stufen deuten bereits Augustins spätere Trinitätslehre an2, was aber an diesem Aufbau auffällt, ist die oberste Stufe, das Eine. Dieses Eine läßt sich wie folgt erklären: Eine Idee faßt viele Einzeldinge zusammen. Auf diese Weise kann ich von vielen Bäumen jeweils sagen: Das ist ein Baum. Dieses Spiel kann man aber noch weitertreiben, indem man eine Über-Idee postuliert, die viele Ideen in eins zusammenfaßt. Bei diesem Vorgang - Abstraktion - nimmt man Eigenschaften von den Einzeldingen weg. Wenn man das immer weiter spielt, bleibt irgendwann keine Eigenschaft mehr übrig. Dann hat man das Sein, das Eine oder Gott gefunden, je nach Geschmack.

 Nach Plotin kann dem Einen nicht einmal Sein als Prädikat zugeordnet werden, es ist das Überseiende. Er nennt es aber trotzdem auch das Gute schlechthin3. Es bildet bei Plotin aber nicht den Endpunkt des Abstraktionsprozesses, sondern den Anfang eines anderen Prozesses, es ist nämlich der Urgrund der Welt. Es ist absolut vollkommen, so vollkommen, daß es vor Vollkommenheit überströmt, sich selbst verströmt4. Dieser Vorgang, die Emanation, schafft zuerst den Nous5, das Denken (Stufe 2). Der wiederum geht sofort ans Werk und gibt die Fülle, aus der er selbst geschaffen wurde weiter6 und schöpft alle weiteren Stufen, mit anderen Worten, die Welt. Im Nous, dem Demiurgen, sind alle Ideen enthalten, nach ihnen wird die Welt gestaltet7. Bei Plotin gibt es jetzt auch für das Individuelle und für die Individuen Urbilder8, seine Ideen sind nicht mehr allgemeinste Kategorien, sondern sie bevölkern eine ganze geistige Welt, den mundus intelligibilis. Dies ist einer der wichtigsten Punkte, in denen Augustinus Plotin folgt:9

 Von den Platonikern hat Augustin als dauernden Besitz die Lehre von der Zweiteilung des Alls in einen sinnlich wahrnehmbaren Teil, den mundus sensibilis, und einen nur dem Denken zugänglichen Teil, den mundus intelligibilis, übernommen. Wahres Sein kommt nur dem mundus intelligibilis zu, der Welt des Geistes, über dem sich das göttliche Eine befindet.

 In dem oben geschilderten Schöpfungsprozeß, der Emanation, verströmt sich das Eine ohne je zu versiegen. Seine Vollkommenheit kann es allerdings nicht an die Welt weitergeben. Je weiter eine Seinsstufe von ihm entfernt ist, desto unwirklicher, schattenhafter ist sie10. Die Menschen auf Stufe Fünf sind also schon recht weit vom Einen entfernt und deshalb so fehlerhaft. An dieser Fehlerhaftigkeit ihres Erdenlebens leidet die Seele und sehnt sich zu ihrem Ursprung zurück11, bei Augustinus also: zu Gott.

 Am schattenhaftesten aber ist das, was den Stoikern die ganze Wirklichkeit ist: die Materie, weshalb Augustinus diesen Aspekt der Stoa später ablehnt.

 Dadurch, daß die unteren Stufen schon soweit vom Einen entfernt sind, ist ihr Sein so schwach geworden, daß es sich schon mit dem Nichtsein mischt, und auf diese Weise wird das Böse erklärt. Das Böse hat selbst keine Existenz, sondern es handelt sich dabei um Löcher im Sein12.

 Das widerspricht jedoch der aristotelischen Lehre von Substanz und Akzidenz, die Augustinus auch zur Erklärung des Bösen anführt. Wir finden also zwei widersprüchliche Erklärungen des Bösen bei Augustinus: Böse Akzidenz an guter Substanz und böse Löcher in gutem Sein. Denn wenn alles Sein sich aus dem Einen heraus manifestiert, wo könnten da Eigenschaften herkommen, die mit dem Wesen der Dinge nichts zu tun haben? Nach der Emanationslehre stammen alle Dinge mitsamt ihren Eigenschaften aus dem Einen. Dieser Widerspruch hat Augustinus aber nicht weiter gekümmert und soll auch hier nicht vertieft werden.

1 Schubert S.8.
2 Voss S.20.
3 Hirschberger S.303.
4 Schubert S.55.
5 Schubert S.60; Hirschberger S.306.
6 Schubert S.61.
7 Hirschberger S.307.
8 Ebenda.
9 Voss S.19.
10 Hirschberger S.309.
11 Ebenda.
12 Voss S.19. Nächster Abschnitt


Dieser Text wurde im Sommersemester 1992 am Philosophischen Institut der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf als Hausarbeit zum Hauptseminar Augustinus - ausgewählte Texte unter der Leitung von Prof. Dr. Norbert Henrichs von Achim Wagenknecht verfaßt.
http://achimwagenknecht.de
Zuletzt aktualisiert am 09.02.2006