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Augustins philosophischer Grund 

  1. Einleitung
  2. Biographisches
  3. Stoa
  4. Cicero
  5. Aristoteles
  6. Skepsis
  7. Neuplatonismus
    1. Das geistige Etwas
    2. Plotin
  8. Fazit
  9. Literaturverzeichnis

4. Cicero

4.1 Eklektizismus

 Cicero ist vermutlich vor allem für den frühen Augustin die Hauptquelle für die Stoa1, die Skepsis2, und auch für die meisten seiner Platon-Zitate3. Was Augustinus aber von Cicero am meisten beeindruckte, war dessen Schrift Hortensius.

 4.2 Hortensius

 Augustinus sagt in seinen Bekenntnissen:

 im Verlauf des herkömmlichen Studiums stieß ich nun auf ein Buch eines gewissen Cicero, dessen Sprache im Gegensatz zu seinem Charakter nahezu ausnahmslos bewundert wird. Dieses Buch aber - es trägt den Titel Hortensius - enthält eine Aufforderung zur Philosophie. Es war dieses Buch, das meinen Sinn veränderte, gerade dir, Herr, meine Gebete zukehrte und mein Wünschen und Verlangen andere werden ließ. Plötzlich war all meine eitle Erwartung für mich ohne Wert, und mit unglaublicher Inbrunst begehrte ich nach der unsterblichen Weisheit; ich begann mich aufzurichten und zu dir zurückzukehren.4

 Der Hortensius bekehrte Augustinus zur Philosophie, zur Suche nach der Weisheit. Was war das für ein Werk?

 Ciceros Hortensius war eins von mehreren Werken, das zur Philosophie, zur Weisheitsliebe aufrief.5

 Diese Literaturgattung ging zurück auf die Mahnungen (Paränesen) eines Älteren an einen Jüngeren oder eines Meisters an einen Schüler, wie sie sich bei Homer oder Hesiod finden.

 Die literarische Gattung des Protreptikos, der Mahnrede, entwickelten die Sophisten, die damit für sich warben. Neben Ciceros Hortensius gab es Protreptiken von Antisthenes, Aristippos, Aristoteles und Iamblichos. Auch Augustinus selbst hat einen Text geschrieben, den man seinen Protreptikos nennen kann, er bildet Buch I von contra academicos.6 Der Protreptikos des Aristoteles hat Cicero beim Verfassen seines Hortensius als Vorbild gedient, auch Iamblichos hat sich stark an Aristoteles orientiert. Vollständig erhalten ist als einzige dieser Schriften der "Aufruf zur Philosophie" von Iamblichos. Alle anderen Texte sind nur noch in Fragmenten oder gar nicht mehr zugänglich. Die von Cicero erhaltenen Fragmente sind nicht sehr aufschlußreich7. Wir müssen also auf Iamblichos zurückgreifen, wenn wir einen ungefähren Eindruck von dem für Augustinus so beeindruckenden Inhalt des Hortensius von Cicero erhalten wollen.

 Einiges von der oben beschriebenen stoischen Lehre finden wir bei Iamblichos wieder, so die Verbindung von Eudämonismus, naturgemäßem Leben, Pantheismus (Stichwort Weltgeist) und Vernunft (Stichwort Philosophie) im folgenden Zitat:

 Nur dann werden wir nämlich naturgemäß leben, was wir alle sehnlichst wünschen, wenn wir nach dem göttlichen und menschlichen Geist leben, und wir sind nur dann glücklich, wenn wir den Weltgeist durch Philosophie fassen und betrachten.8

 Im folgenden Zitat wird der Eudämonismus ausdrücklich genannt und das Programm der Glücksgewinnung durch Weisheit, "vollkommene Einsicht" und Philosophie deutlich skizziert. Dabei wird die Philosophie in die Nähe der Techne gerückt und eine gewisse Nähe zu den Werbetexten heutiger New-Age-Gurus läßt sich nicht leugnen:

 Weil wir aber alle glücklich sein möchten, und dies offenbar durch den Gebrauch der Dinge werden, und zwar durch den richtigen Gebrauch, und weil die Wissenschaft rechten Gebrauch und Gelingen gewährt, muß sich wohl jedermann unbedingt bemühen, möglichst weise zu werden. Nur dies nämlich macht den Menschen glücklich und erfolgreich.9

 Neben dem individuellen Glück gilt die Freundschaft bei Iamblichos ebenso wie bei Cicero und Augustinus als hoher Wert, der durch Philosophie zu erreichen ist:

 Auch jene versäumen ihre Pflicht, die nach sonstiger Bildung streben, die sie niemals Übereinstimmung und Freundschaft gewinnen läßt, die Wissenschaft aber, die Stifterin der Eintracht ist, nicht beachten ... 10

 Dies ist ein Motiv, das sich auch bei dem Stoiker Epiktet findet, dessen Schriften Augustinus gut bekannt waren11:

 Philosophie stiftet Eintracht, es gibt nur eine Wahrheit, und wenn wir alle der Wahrheit folgen, so können wir nicht verschiedener Meinung sein.12

 Die Rede von der einen Wahrheit ist eine gefährliche Sache, gerade wenn es um soziale und politische Phänomene geht. Hier liegt mit Sicherheit eine der Wurzeln für Augustins späteren Rigorismus, der ihn wenn nicht als Vater, so doch als Großvater der Inquisition erscheinen läßt. Spätestens der Stalinismus aber sollte uns gelehrt haben, daß von der einen, Eintracht stiftenden Wahrheit nichts, aber auch gar nichts zu halten ist.

 Iamblichos aber konnte in Unkenntnis derart schrecklicher Auswüchse von Ideologie und Dogmatismus noch ganz unbeschwert behaupten:

 So ist dargelegt, daß man die Philosophie erlangen kann, daß sie das größte Gut ist, und leicht zu erwerben. So daß alle diese Gründe es nahelegen, sich mit Eifer um sie zu bemühen.13

 Was Augustinus ja dann auf seine ganz eigene Weise mit historisch durchschlagendem Erfolg tut.

1 Flasch S.25.
2 Flasch S.18.
3 Flasch S.39.
4 Bekenntnisse 3,4.7; Reclam S.75/76.
5 Das folgende nach Otto Schönberger: Die Mahnrede (Protreptikos), in: Iamblichos, Aufruf zur Philosophie, hrsg. von Schönberger, Würzburg 1984.
6 Bernd Reiner Voss: Einführung in Augustins philosophische Frühdialoge, in: Augustinus, Werke Bd.6, Zürich/Müchen 1972.
7 Sie finden sich zum Beispiel in Iamblichos, Aufruf zur Philosophie, S.86ff.
8 Iamblichos, Protreptikos 4,8; Erste deutsche Gesamtübersetzung von Otto Schönberger, Würzburg 1984, S.18.
9 Iamblichos, Protreptikos 5,4; Schönberger S.21.
10 Iamblichos, Protreptikos 5,9; Schönberger S.22.
11 Neitzke: Einleitung zu Epiktets Handbüchlein der Ethik, ebendort, Reclam, S.13/14.
12 Epiktet, Handbüchlein der Ethik, Reclam S.22.
13 Iamblichos, Protreptikos 6,12; Schönberger S.30. Nächster Abschnitt


Dieser Text wurde im Sommersemester 1992 am Philosophischen Institut der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf als Hausarbeit zum Hauptseminar Augustinus - ausgewählte Texte unter der Leitung von Prof. Dr. Norbert Henrichs von Achim Wagenknecht verfaßt.
http://achimwagenknecht.de
Zuletzt aktualisiert am 09.02.2006