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Augustins philosophischer Grund 

  1. Einleitung
  2. Biographisches
  3. Stoa
  4. Cicero
  5. Aristoteles
  6. Skepsis
  7. Neuplatonismus
    1. Das geistige Etwas
    2. Plotin
  8. Fazit
  9. Literaturverzeichnis

6. Skepsis

Die Auseinandersetzung mit der Skepsis ist für Augustinus wichtig, weil nach der Auffassung der Stoa, der er sich in dieser Frage anschloß, nur der Weise glücklich sein kann.1 Bekannt war die Skepsis Augustin von Cicero2. Hätte er sich von skeptischen Argumenten überzeugen lassen, so hätte er mit der Unmöglichkeit von Erkenntnis auch auf Weisheit und vor allem auf das Glück verzichten müssen.

 Der Einfluß der Skepsis fand seinen Niederschlag in Augustins Werk zuerst in der Frühschrift contra academicos, die 385 in Cassiciacum entstand, also kurz nach Augustins eigener skeptischer Phase3, die auf seine Ablösung vom Manichäismus folgte. Er hatte sich ja von dieser Lehre nicht gelöst, weil er eine bessere Philosophie gefunden hatte, sondern weil er von Faustus von Mileve, dem geistigen Führer der Manichäer, so enttäuscht war4.

Die skeptische Phase der platonischen Akademie umfaßte gerade ein Viertel ihrer Zeit, seitdem aber wurde Akademiker gleichbedeutend mit Skeptiker benutzt5. Daher auch heißt Augustins Schrift gegen die Skeptiker: contra academicos. In diesem Text stellt er die Position der Skeptiker wie folgt dar:6

 Erkenntnis der philosophischen Dinge ist nicht möglich, andere Erkenntnis ist nicht wichtig. Weisheit besteht in der Suche nach der Wahrheit und der Annäherung an sie, auch wenn sichere Erkenntnis und die Wahrheit selbst nicht erlangt werden können.7 Der Weise darf deshalb keiner Aussage zustimmen.8 Um handlungsfähig zu bleiben und Entscheidungen treffen zu können ohne Behauptungen aufstellen zu müssen, wird der Begriff der Annahme oder des Wahrscheinlichen eingeführt.

 Dieser letzte Punkt bietet Augustinus eine Möglichkeit, die skeptische Position anzugreifen. "Wahrscheinlich" heißt im Lateinischen verisimilis, der Wahrheit ähnlich. So argumentiert Augustinus: Wie kann man zwei Dinge "ähnlich" nennen, wenn man eins davon gar nicht kennt?9 Das Argument funktioniert aber nur im Lateinischen, das deutsche Wort wahr-scheinlich läßt sich nicht derart für Gegenargumente gebrauchen. Etwas, was den Schein von Wahrheit erweckt ist nicht notwendig nur scheinbar wahr, sondern kann sich später auch als tatsächlich wahr herausstellen. Letztendlich sind aber etymologische Spekulationen für die Bewertung von erkenntnistheoretischen Positionen wertlos. Viel sinnvoller ist der Verweis auf die Empirie, die zeigt, daß weder die dogmatischen Richtungen der Stoa, des Neuplatonismus oder des Augustinus recht haben, noch der radikale Zweifel der Skeptiker berechtigt ist. Ein einfacher Spaziergang im Nebel oder in der Dämmerung zeigt, daß es Dinge gibt, die man nicht sicher erkennen kann, über die man aber sinnvolle Vermutungen anstellen kann, was der Position der gemäßigten Skepsis entspricht, wie Augustinus sie darstellt. Was die Position der radikalen Skepsis angeht, so werden auch die Vertreter dieser Position essen, wenn sie Hunger haben, und nicht bezweifeln, daß diese Handlungsweise richtig ist und zum Erfolg führt. Die Auseinandersetzung mit der radikalen Skepsis führt Augustinus zu seinem berühmten Argument si enim fallor, sum - auch wenn ich mich täusche, bin ich - mit dem er die Frage beantwortet, ob er nicht in dem Glauben an seine eigene Existenz getäuscht werden könne:10

 ... ohne das Gaukelspiel von Phantasien und Einbildungen fürchten zu müssen, bin ich mir dessen ganz gewiß, daß ich bin (...) Bei diesen Wahrheiten machen mir die Argumente der Akademiker keinerlei Sorge. Mögen sie sagen: Wie, wenn du dich täuschst? Wenn ich mich täusche, bin ich ja. Denn wer nicht ist, kann sich nicht täuschen; also bin ich, wenn ich mich täusche. Da ich demnach bin, wenn ich mich täusche, kann es keine Täuschung sein, daß ich bin; denn es steht fest, daß ich bin, wenn ich mich täusche. Da ich also, auch wenn ich mich täuschte, sein müßte, um mich täuschen zu können, täusche ich mich darin gewiß nicht, daß ich weiß: ich bin.

 Dieses später bei Descartes in ähnlicher Form wiederkehrende Argument11 ist zweifellos wahr, daß es aber überhaupt formuliert wird, setzt den Zweifel der radikalen Skepsis voraus.

1 Voss S.28.
2 Flasch S.56.
3 Voss S.27.
4 Augustinus: Bekenntnisse, 5,6,10, Reclam S.123.
5 Voss S.13.
6 Augustinus: Contra academicos, 2,5,11/12, Werke Bd.6 S. 77 unten ff.
7 Dies ist auch die Position der modernen Erkenntnistheorie.
8 In diesem Zusammenhang weist Augustinus auf ein Problem hin, das in jüngster Zeit unter dem Stichwort Fuzzy-Logic Bedeutung erlangt hat: die Haufenschlüsse, das Problem der Definition unbestimmter quantitativer Begriffe wie alt, jung, groß, klein, hell, dunkel, usw. Die Bezeichnung Haufenschluß kommt von der Ausgangsfrage, ab welcher Anzahl eine Menge von Körnern als Haufen bezeichnet werden kann [Werke Bd.6, S.342, Anm.17].
9 contra academicos 2,7; Werke Bd.6 S.82/83.
10 Gottesstaat, 11,26, Artemis Bd.2, S.43.
11 Descartes: Abhandlung über die Methode, Kap.4. Nächster Abschnitt


Dieser Text wurde im Sommersemester 1992 am Philosophischen Institut der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf als Hausarbeit zum Hauptseminar Augustinus - ausgewählte Texte unter der Leitung von Prof. Dr. Norbert Henrichs von Achim Wagenknecht verfaßt.
http://achimwagenknecht.de
Zuletzt aktualisiert am 09.02.2006