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Totalitarismus und Revolution 3.
Das Politische 4.
Politik, Feldtheorie und Kommunikation |
3.4 Exkurs: Theater
Arendts Begriff des Handelns bringt eine Bedeutungsfacette ins Spiel, die das deutsche Wort handeln nicht hat, die aber sowohl das englische to act als auch das lateinische agere und das griechische dram1 haben: auf der Bühne spielen, Theater spielen, etwas auf der Bühne darstellen, eine Rolle spielen. Deshalb sagt Arendt über das Theater:2 So ist das Theater denn in der Tat die politische Kunst par excellence; nur auf ihm, im lebendigen Verlauf der Vorführung kann die politische Sphäre menschlichen Lebens überhaupt soweit transfiguriert werden, daß sie sich der Kunst eignet. Zugleich ist das Schauspiel die einzige Kunstgattung, deren alleinigen Gegenstand der Mensch in seinem Bezug zur Mitwelt bildet. Das politische Handeln beruht im wesentlichen auf dem Sprechen und spielt sich direkt zwischen Menschen ab. Beides trifft ganz genauso auf das Theater zu. Und ebenso, wie man das Politische vom Theater her verstehen kann, so geht das auch umgekehrt. Im Theater kommen wir zusammen, um wahrzunehmen, unsere Sinne berauschen zu lassen, Texte zu hören, Kostüme und Bühnenbilder zu sehen. Die Schauspieler auf der anderen Seite kommen, um sich zu zeigen, um eine Rolle zu spielen, um Applaus zu empfangen (und Geld zu verdienen). Aus Arendts Perspektive gesehen kann man das Theater einmal als Herstellen und einmal als Handeln verstehen. Für die Sichtweise des Herstellens möchte ich ein Brecht-Zitat anführen, das ich im folgenden zugegeben recht frei interpretiere:3 Ich bin ein Stückeschreiber. Ich zeige Die fünf "ich" zeigen an, daß der Stückeschreiber seinen eigenen Anteil am Zustandekommen einer Theatervorstellung sehr hoch einschätzt. Von den anderen Beteiligten, wie zum Beispiel Schauspielern, ist nicht die Rede. Vielmehr scheint alles Wesentliche mit dem Schreiben des Stückes schon getan zu sein. Das Weitere ist nur noch die Umsetzung eines fertigen Plans in die Wirklichkeit, verläuft also nach dem Schema des Herstellens: der Stückeschreiber liefert den Bauplan, der Regisseur ist der Hersteller, die Schauspieler, ihre Körper und Stimmen das Rohmaterial und nun wird nach Plan die Theatervorstellung hergestellt. Derart hergestelltes Theater mag politische Themen behandeln, sein Konzept aber ist wie alles Herstellen dem Politischen unangemessen. In Arendts Perspektive des Handelns und des WER stellt sich die Sache eher wie folgt dar: Brechts Konzept läßt die Person außen vor, die im Theater handelt und sich damit als Person zu erkennen gibt. Ich glaube, daß da eine Verwechslung von Form und Inhalt vorliegt. Es sollen gewisse Gedanken in der Form des Theaters vermittelt werden. Ist es aber nicht vielmehr so, daß im Theater bestimmte Menschen ihr Person-Sein in der Form des Schauspielens zu erkennen geben? Wäre der Schauspieler nichts als ein Medium, definiert durch seinen Auftrag, die Gedanken des Autors zum Publikum zu transportieren, so wäre er nicht mehr als ein luxuriöses Telefon, das den Worten etwas mehr Klang gibt. Medium heißt Mittel, und wenn der Schauspieler in seinem Wesen Mittel zum Zweck wäre, dann wäre er entmenscht. Regisseur und Autor würden sich der Vergewaltigung schuldig machen, indem sie den Schauspieler rücksichtslos zur Verwirklichung ihrer eigenen Zwecke gebrauchen. Zum Glück ist nie ein Theaterabend konsequent in dieser Weise gestaltet worden, weil das nämlich gar nicht geht, solange man mit Menschen arbeitet. Richtig wird das Verhältnis, wenn der Schauspieler die Texte des Autors benutzt, um sich selbst als Mensch darzustellen, wobei der Regisseur die Rolle des Vermittlers übernimmt. Damit wird das Theaterstück zum ganz persönlichen Drama des Schauspielers, an dem das Publikum unmittelbar teilnehmen kann, ohne hinter dem Ganzen eine versteckte Absicht suchen zu müssen. Hannah Arendt sagt dazu:4 Was sich in der Aufführung zur Geltung bringt, ist dabei nicht so sehr der Gang der Handlung, der sich auch in seinem Erzählen wiedergeben ließe, als das So-und-nicht-anders-Sein der handelnden Personen, die der Schauspieler in ihrem eigensten Medium darstellt. Die Analogie des Theaters führt im Politischen direkt zu einem weiteren Problem, und zwar zur Frage des Mandats. So wie der Schauspieler an seinen Text gebunden ist, so ist ein Mandatsträger seinen Wählern verpflichtet. In der direkten Demokratie, deren attisches Urbild Arendt als Vorbild dient, bringt jeder nur seinen eigenen Willen in den Politischen Vorgang ein. In einem repräsentativen System gibt es Mandatsträger, die einen fremden Text sprechen müssen, sie müssen für jemand anders reden wie der Schauspieler einen fremden, gelernten Text spricht. Aber im Falle des Politikers wird die Lage noch verkompliziert dadurch, daß sein Text nicht eindeutig ist und nicht von einer Person stammt, sondern selbst auf eine Vielheit von Personen zurückzuführen ist, die der Abgeordnete wiederum in einer anderen Vielheit zu vertreten hat.5 Dieses Dilemma ist nicht prinzipiell zu lösen. Es bleibt der politischen Praxis überlassen, sich stets aufs neue damit herumzuschlagen.
1 Vita activa, S. 179. |