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Hannah Arendts politische Philosophie 

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1. Einleitung

2. Totalitarismus und Revolution
2.1 Die totale Herrschaft
2.1.1 Nationalismus
2.1.2 Imperialismus
2.1.3 Die Partei neuen Typs
2.1.4 Die Rolle der Geheimorganisationen
2.1.5 Die Bewegung
2.1.6 Totalitarismus
2.1.7 Apokalypse
2.1.8 Fazit
2.2 Die Revolution
2.2.1 Die Umwälzung und das Prozeßdenken
2.2.2 Die Räte
2.2.3 Zusammenfassung

3. Das Politische
3.1 Das Herstellen
3.1.1 Die Zweck-Mittel-Relation
3.1.2 Anfang und Ende
3.1.3 Die Subjekt-Objekt-Spaltung
3.1.4 Ein Beispiel
3.1.5 Das Problem der Herstellenskategorie
3.1.6 Der Triumph des Herstellens
3.1.7 Das Herstellen und das Politische
3.1.8 Zusammenfassung
3.2 Die Arbeit
3.3 Das Handeln
3.3.1 Handeln als Kausalität
3.3.2 Das politische Handeln
3.4 Exkurs: Theater
3.5 Die Gebürtigkeit
3.6 Das WER-EINER-IST
3.7 Die Macht und der Erscheinungsraum
3.8 Exkurs: Vertragstheorie und Feminismus
3.9 Unabsehbarkeit und Narrativität

4. Politik, Feldtheorie und Kommunikation
4.1 Feldtheorie
4.2 Informations- und Kommunikationstheorie
4.2.1 Shannon und Weaver
4.2.2 Erstmaligkeit und Bestätigung
4.3 Eine Feldtheorie der Kommunikation
4.4 Anwendung auf das Politische
4.4.1 Erstmaligkeit und Bestätigung im Politischen
4.4.2 Das Politische im Kommunikationsfeld
5. Zusammenfassung
6. Literatur

3.1.3 Die Subjekt-Objekt-Spaltung

Das Herstellen hat einen weiteren Aspekt, der meines Erachtens die fundamentale Verschiedenheit zwischen ihm und dem Politischen noch wesentlich deutlicher werden läßt. Dieser Aspekt ist die Subjekt-Objekt-Spaltung. Diese Spaltung hängt eng mit dem Herstellen zusammen. Hannah Arendt sagt dazu:1

... das, was der Subjektivität des Menschen entgegensteht, und woran sie sich mißt, ist die Objektivität, die Gegenständlichkeit der von ihm selbst hergestellten Welt...

Und auf der gleichen Seite weiter unten:

Nur weil wir aus dem, was die Natur uns gibt, die objektive Gegenständlichkeit einer eigenen Welt errichtet ... haben ..., sind wir imstande, nun auch die Natur als einen "Gegenstand" objektiv zu betrachten und zu handhaben. Ohne eine solche Welt zwischen Mensch und Natur gäbe es ewige Bewegtheit, aber weder Gegenständlichkeit noch Objektivität.

Bei der Aufzählung der Elemente des Herstellens (Hersteller, Modell, Material, Werkzeug, Produkt) wurde schon deutlich, daß sich hier die Bereiche von Subjekt und Objekten gegenüberstehen. Der Hersteller stellt sich dem Material aktiv gegenüber, um es zu formen. Für Arendt ist das Herstellen das Paradigma der Subjekt-Objekt-Spaltung und ich stimme ihr zu, mit dem Unterschied, daß ich die Wurzel der Objektivität nicht in der fertiggestellten Dingwelt sehe, sondern im Herstellungsvorgang selbst. Bei jeder Herstellung wird nicht nur ein Ding erzeugt, sondern die Subjekt-Objekt-Spaltung wird in diesem Vorgang ebenfalls erneut hergestellt. Herstellendes Formen bedeutet direkte Auseinandersetzung mit der Objektwelt und in dieser Tätigkeit wird die eigene Subjektivität und die Objektivität der Umwelt konkret erfahren. Die Erfahrung des Herstellens besteht darin, daß ich die Idee für einen Gegenstand von mir abspalte und unter Einsatz von Körperkraft und Kunstfertigkeit in ein Objekt verwandle. So entsteht tatsächlich eine Spaltung: Vorher ist eine kognitive Entität im Geist des Herstellers, nachher existiert ein davon unabhängiges und getrenntes Ding. Indem ich herstellend Objekte von mir abspalte, erfahre ich die Subjekt-Objekt-Spaltung, die zwischen mir und der Welt besteht.

Um Mißverständnisse zu vermeiden, möchte ich meine Auffassung präzisieren. Ich würde nie behaupten, ein Mensch, der noch nie etwas hergestellt hat, sei kein Subjekt. Genau genommen glaube ich nicht, daß die Subjekt-Objekt-Spaltung im Herstellen erzeugt wird, sondern daß sie dabei vertieft wird. Das Herstellen ist nicht der Ursprung dieser Spaltung, sondern die Spaltung drückt sich im Herstellen paradigmatisch aus und wird durch die Erfahrung des Herstellens vertieft.

Im Gegensatz nun zu diesem Herstellen, in dem ich als Subjekt der Objektwelt gegenübertrete, ist das Politische durch das Handeln konstituiert und2

Das Handeln ist die einzige Tätigkeit der Vita activa, die sich ohne die Vermittlung von Materie, Material und Dinge direkt zwischen Menschen abspielt.

Meine Definition eines politischen Vorganges stimmt damit überein, denn sie enthält keine Elemente, die der Objektwelt entstammen: Mehrere Menschen, die je etwas Individuelles wollen, versammeln sich, reden miteinander und einigen sich auf ein Gemeinsames.

Der wesentliche Unterschied eines solchen Vorganges zum Herstellen läßt sich mit der Kategorie der Subjekt-Objekt-Relation sehr klar und knapp charakterisieren:

Während beim Herstellen ein Subjekt (der Hersteller), mehreren Objekten (Werkzeug, Material usw.) gegenübersteht, spielt sich ein politischer Vorgang stets zwischen mehreren Subjekten ab.

Es ist nicht möglich, in einem politischen Vorgang eine Entscheidung zu meinen Gunsten ebenso zielstrebig und geradlinig herbeizuführen, wie ich ein Objekt nach meinem Geschmack herstellen kann. Die Anderen sind kein Material, das ich formen könnte. Versuche ich dennoch, die Anderen in eine Form zu pressen, wie ich Lehm in eine Form pressen kann, so liegt der Versuch einer Erpressung vor. Und diese wird genau wie beim Herstellen mit Hilfe von Werkzeugen durchgeführt, in diesem Fall meistens mit Tötungswerkzeugen, also mit Waffengewalt.


1 Vita activa, S. 125, Hervorhebung von mir.
2 Vita activa, S. 14.

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Zuletzt aktualisiert am 09.02.2006