Achim Wagenknecht [homepage] [e-mail]

Saccheris Definitionslehre

1. Einleitung

2. Definition allgemein

3. Die Realdefinition

4. Saccheris Definitionsregeln

5. Die Nominaldefinition

6. Zusammenfassung

7. Literatur

 

Glossar der Symbole

 

R1: Sie muß klarer sein als das definierte Ding.

Diese Regel wird von Saccheri kurz und bündig erläutert mit den Worten: "und zwar, weil sie sonst nichts erklären würde." Die Regel R1 läßt sich präzisieren, indem man fordert, im Definiens dürfen nur bekannte Begriffe vorkommen, d.h. solche, die entweder schon definiert sind, oder die Grundbegriffe darstellen.

In den Worten eines Lehrbuches von 1985 heißt das,

daß es für die Definitionen in einer Sprache S eine Reihenfolge geben muß, so daß das Definiens jeder Definition nur solche definierten Ausdrücke enthält, die Definiendum einer früheren Definition in S sind.1

Begründet wird diese Regel hier jedoch nicht. In Savignys vielzitiertem Grundkurs im wissenschaftlichen Definieren von 1972 suche ich diese Regel vergeblich.2

In den Principia mathematica heißt es dazu kurz und bündig, daß das Definiens aus Symbolen besteht, "deren Sinn schon bekannt ist."3 Auch hier wird diese Regel nicht begründet.

Dabei wird R1 sehr schnell aus der Definition von Definition klar: Die Definition ist die Antwort auf die Frage: Was ist ein Soundso?

Wer eine Frage stellt, möchte etwas wissen. Wissen aber ist nur dann möglich, wenn der Frager die Antwort versteht. Für das Verstehen dieser Antwort ist es jedoch notwendig (nicht hinreichend), daß die Worte der Antwort verstanden werden, d.h., daß sie bekannt sind, und genau das fordert die Regel R1.

Neben dem Problem der Begründung führt R1 auch noch in zwei weitere Probleme: Das Problem der Subjektivität und das Münchhausen-Trilemma4.

Subjektivität

In meiner Begründung von Saccheris R1 kommt der Begriff des Verstehens vor, und dieser ist problematisch. Verstehen ist ein innerpsychischer Vorgang und damit nicht Gegenstand der Logik, die sich nur mit Sprache befaßt.

Meine Begründung war auch deshalb außerlogisch, weil sie auf die Sprechsituation einging, in der eine Definition verwendet wird. In einer konkreten Sprechsituation sind bekannte Begriffe aber nicht definierte Begriffe oder Grundbegriffe, sondern solche, die von dem konkreten Gesprächspartner tatsächlich verstanden werden, und diese können von ganz anderen Faktoren abhängen.

Das Münchhausen-Trilemma

Definitionen sichern die Kenntnis von Begriffen durch definierte Begriffe, und Begründungen sichern die Wahrheit von Aussagen durch begründete Aussagen.

Deshalb gilt das Münchhausen-Trilemma, das hier nicht näher ausgeführt werden soll, für Definitionen genauso wie für Aussagen.

Teilweise wird dieses Problem von Saccheri vorweggenommen, und zwar in der Annahme vor Lehrs.7, in Lehrs.7 für Begriffe und ihre Definitionen und in Kap. 5, Lehrs.1 für Aussagen. Hier tauchen zwei der drei Möglichkeiten auf: der Regreß ad infinitum und der Abbruch der Begründung. Saccheri entscheidet sich für letzteren und fordert evidente Grundbegriffe und Axiome. 



1 Kutschera, Franz von/Breitkopf, Alfred: Einführung in die moderne Logik, Freiburg/München 1985, S.145
2 Vergl. Savigny Savigny, Eicke von: Grundkurs im wissenschaftlichen Definieren, München 1970, Auflistung der Definitionsregeln S.126,129
3 Whitehead/Russell, Principia mathemSoftmatica, deutsch von Hans Mokre, Suhrkamp 1986, S.21
4 Vergl. Hans Albert: Traktat über Kritische Vernunft, 1968

Diese Interpretation ist im Sommersemester 1992 an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf als Hausarbeit zum Hauptseminar: G. Saccheri, Logica demonstrativa unter der Leitung von Prof. Dr. Hartmut Brands entstanden. Ich möchte diese Veröffentlichung dem Andenken des viel zu früh verstorbenen Professor Brands widmen, bei dem ich gerne noch mehr über Logik und Wissenschaftstheorie gelernt hätte.
Urheberrecht: Achim Wagenknecht
http://achimwagenknecht.de
Zuletzt aktualisiert am 09.02.2006