4. Saccheris Definitionsregeln
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Die physische Definition
Die essentielle Definition besteht normalerweise aus genus proximum und
differentia specifica und ist "metaphysisch", d.h. die Teile, aus denen
sie besteht, sind nicht wirklich voneinander getrennt, sondern nur begrifflich.
Demgegenüber ist die physische Definition, die bei Saccheri eine Sonderform
der essentiellen Definition bildet, aus Bestandteilen aufgebaut, die nicht
nur begrifflich getrennt sind, sondern auch wirklich. Als Beispiel dafür
dient die Definition des Menschen als vernunftbegabtes Sinnenwesen. In
dieser üblichen Formulierung nennt Saccheri die Definition metaphysisch,
weil ihre Bestandteile nur begrifflich getrennt sind. Sagt man jedoch:
Der Mensch ist zusammengesetzt aus Körper und vernunftbegabter Seele;
so ist dies nach Saccheri eine physische Definition, da er Körper
und Seele als getrennte Einheiten betrachtet. Physische Definitionen müssen
"gleichsam aus Gattung und Differenz" bestehen, also analog zu metaphysischen
aufgebaut sein. Die Bedeutung der physischen Definition bleibt offen. Sie
wird nur durch dieses eine Beispiel erklärt und scheint sich von der
metaphysischen Definition nur unwesentlich zu unterscheiden. Da sie zur
essentiellen Definition gehört, müssen Gattung und Differenz
in ihr vorkommen, wenn auch nur "gleichsam". Diese kargen Formulierungen
lassen völlig offen, wie man eine physische Definition genau bildet
und welchen Nutzen sie haben soll. Vielleicht beabsichtigt Saccheri auch
genau das und will damit einem anderen Verständnis von physischen
Definitionen entgegentreten, das diesen mehr Bedeutung zuschreibt.
Die Deskription unterscheidet sich von der essentiellen Definition nur dadurch, daß "an Stelle der essentiellen Differenz ein anderes Prädikat, das zu der Sache gehört, gesetzt ist."1 Saccheris Bewertung der Realdefinition und insbesondere der essentiellen Definition ist widersprüchlich. Zuerst bezeichnet er die Definition als Prinzip, dann nennt er die essentielle Definition Definition im eigentlichen Sinne, so daß man meinen sollte, die essentielle Definition als Definition im eigentlichen Sinne sei zu den Prinzipien zu rechnen, und zwar als besonders wichtiges. Dem widerspricht aber, daß er der essentiellen Definition nur wenig Raum in seiner Abhandlung gibt, und der einzige Lehrsatz, den er ihr widmet, sogar lautet: Die essentielle Definition ist kein notwendiges Prinzip des Wissens.
Dies zeigt er in einem Beweis, dessen Kernsatz ist: Von einem Prädikat aber, das zu jedem der definierten Dinge und
nur zu diesen gehört, kann eine essentielle Definition abgeleitet
werden.
Damit gibt er die klassische Wesensdefinition aus genus proximum und differentia specifica praktisch auf. Sie mag zwar noch in vielen Fällen zweckmäßig sein und häufig benutzt werden, aber ihre Form ist nicht mehr zwingend. Die essentielle Definition ist Erkenntnisziel, nicht Erkenntnisgrund, wie Saccheri in seiner Folgerung zum ersten Lehrsatz ausdrücklich betont: Daher hat man es, daß die essentielle Definition sehr oft der
Ertrag einer langen Reihe von Beweisen über irgendein Objekt ist.
Dennoch formuliert er seine Definitionsregeln, von denen der nächste Abschnitt handelt, zunächst nur für essentielle Definitionen. 1 Logica S.186 |