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Saccheris Definitionslehre

1. Einleitung

2. Definition allgemein

3. Die Realdefinition

4. Saccheris Definitionsregeln

5. Die Nominaldefinition

6. Zusammenfassung

7. Literatur

 

Glossar der Symbole

 

Die physische Definition

Die essentielle Definition besteht normalerweise aus genus proximum und differentia specifica und ist "metaphysisch", d.h. die Teile, aus denen sie besteht, sind nicht wirklich voneinander getrennt, sondern nur begrifflich. Demgegenüber ist die physische Definition, die bei Saccheri eine Sonderform der essentiellen Definition bildet, aus Bestandteilen aufgebaut, die nicht nur begrifflich getrennt sind, sondern auch wirklich. Als Beispiel dafür dient die Definition des Menschen als vernunftbegabtes Sinnenwesen. In dieser üblichen Formulierung nennt Saccheri die Definition metaphysisch, weil ihre Bestandteile nur begrifflich getrennt sind. Sagt man jedoch: Der Mensch ist zusammengesetzt aus Körper und vernunftbegabter Seele; so ist dies nach Saccheri eine physische Definition, da er Körper und Seele als getrennte Einheiten betrachtet. Physische Definitionen müssen "gleichsam aus Gattung und Differenz" bestehen, also analog zu metaphysischen aufgebaut sein. Die Bedeutung der physischen Definition bleibt offen. Sie wird nur durch dieses eine Beispiel erklärt und scheint sich von der metaphysischen Definition nur unwesentlich zu unterscheiden. Da sie zur essentiellen Definition gehört, müssen Gattung und Differenz in ihr vorkommen, wenn auch nur "gleichsam". Diese kargen Formulierungen lassen völlig offen, wie man eine physische Definition genau bildet und welchen Nutzen sie haben soll. Vielleicht beabsichtigt Saccheri auch genau das und will damit einem anderen Verständnis von physischen Definitionen entgegentreten, das diesen mehr Bedeutung zuschreibt.

Die Deskription unterscheidet sich von der essentiellen Definition nur dadurch, daß "an Stelle der essentiellen Differenz ein anderes Prädikat, das zu der Sache gehört, gesetzt ist."1

Saccheris Bewertung der Realdefinition und insbesondere der essentiellen Definition ist widersprüchlich. Zuerst bezeichnet er die Definition als Prinzip, dann nennt er die essentielle Definition Definition im eigentlichen Sinne, so daß man meinen sollte, die essentielle Definition als Definition im eigentlichen Sinne sei zu den Prinzipien zu rechnen, und zwar als besonders wichtiges. Dem widerspricht aber, daß er der essentiellen Definition nur wenig Raum in seiner Abhandlung gibt, und der einzige Lehrsatz, den er ihr widmet, sogar lautet:

Die essentielle Definition ist kein notwendiges Prinzip des Wissens.
(Kap4, Lehrs.2)

Dies zeigt er in einem Beweis, dessen Kernsatz ist:

Von einem Prädikat aber, das zu jedem der definierten Dinge und nur zu diesen gehört, kann eine essentielle Definition abgeleitet werden.
(Logica S.189)

Damit gibt er die klassische Wesensdefinition aus genus proximum und differentia specifica praktisch auf. Sie mag zwar noch in vielen Fällen zweckmäßig sein und häufig benutzt werden, aber ihre Form ist nicht mehr zwingend. Die essentielle Definition ist Erkenntnisziel, nicht Erkenntnisgrund, wie Saccheri in seiner Folgerung zum ersten Lehrsatz ausdrücklich betont:

Daher hat man es, daß die essentielle Definition sehr oft der Ertrag einer langen Reihe von Beweisen über irgendein Objekt ist.
(Logica S.190)

Dennoch formuliert er seine Definitionsregeln, von denen der nächste Abschnitt handelt, zunächst nur für essentielle Definitionen. 



1 Logica S.186

Diese Interpretation ist im Sommersemester 1992 an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf als Hausarbeit zum Hauptseminar: G. Saccheri, Logica demonstrativa unter der Leitung von Prof. Dr. Hartmut Brands entstanden. Ich möchte diese Veröffentlichung dem Andenken des viel zu früh verstorbenen Professor Brands widmen, bei dem ich gerne noch mehr über Logik und Wissenschaftstheorie gelernt hätte.
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Zuletzt aktualisiert am 09.02.2006