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Girolamo Saccheri: Logica Demonstrativa

Teil II, Kapitel 3 und 4

Drittes Kapitel
Was und wievielerlei
Art das Prinzip ist

[Real- und Nominaldefinition]
[Axiom, Hypothese, Postulat]

Viertes Kapitel
Über die Definition

    Erster Lehrsatz
    Zweiter Lehrsatz
    Dritter Lehrsatz
    Vierter Lehrsatz
    Fünfter Lehrsatz
    Sechster Lehrsatz
    Siebter Lehrsatz
    Achter Lehrsatz

 

[Real- und Nominaldefinition]

Eine Art der Definition ist die Definition der Sache1, die andere ist die Definition des Namens2. Die Realdefinition ist erstens wesensmäßig oder essenziell, zweitens beschreibend.

Die essentielle Definition wird selbst-verständlich3 Definition genannt. Die beschreibende Definition wird Beschreibung genannt. Die Nominaldefinition wird Interpretation genannt.

Die Essenzielle Definition oder die Definition im eigentlichen Sinne, ist ein Ausdruck, der die Natur einer Sache erklärt, oder, der das erklärt, was eine Sache ist, wie dieser: animal rationale, vernunftbegabtes Sinnenwesen, der die Natur des Menschen erklärt. Eine Art dieser Definition wird physisch genannt, eine andere metaphysisch. Die physische Definition wird geleistet durch voneinander verschiedene Teile, die ein gewisses Ganzes bilden, wie: Der Mensch ist zusammengesetzt aus Körper und vernünftiger Seele, welches physische Teile sind, die wirklich voneinander verschieden sind und die einen Menschen bilden.

Die metaphysische Definition wird durch metaphysische Teile geleistet, die nur durch die Art, sie zu erkennen verschieden sind wie: Der Mensch ist ein vernunftbegabtes Sinnenwesen. Die Elemente dieses Ausdrucks sind metaphysische Teile eines Menschen, die nicht wirklich voneinander verschieden sind wie die physischen Teile körper und Seele, sondern nur durch unsere Art, sie sich vorzustellen. Nun muß die wesensmäßige Definition in Wahrheit drei Bedingungen erfüllen, um gut zu sein.

[R1] Die Erste ist: Sie muß klarer sein als die definierte Sache und zwar, weil sie sonst nichts erklären würde.
[R2] Die zweite ist, daß sie zu jedem der definierten Objekte gehören muß und nur zu diesen,
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so daß sie mit dem definierten Objekt vertauschbar ist. Der Grund besteht darin, daß die Definition sonst nicht die Natur der Sache erklären würde, oder das, was die Sache in ihrem wirklichsten und richtigsten Sinne ist.
[R3] Die Dritte Bedingung ist, daß sie aus der Gattung und der nächsten Differenz bestehen muß oder gleichsam aus der Gattung und der Differenz, wenn sie eine physische Definition ist.

In jedem Objekt gibt es Prädikate, die man generisch nennt, durch die dieses Objekt mit anderen Objekten übereinstimmt, und Prädikate, durch die es von anderen Objekten verschieden ist, diese werden differenzierende Prädikate genannt. Diese dritte Bedingung trifft auf die obengenannte Definition des Menschen zu, weil diese Definition aus der nächsten Gattung gebildet ist, das ist "Sinnenwesen", durch die der Mensch wie andere lebende Dinge ist, und aus der nächsten Differenz, rational, vernünftig, durch die er nächstens und unmittelbar unterschieden ist von anderen lebenden Dingen.

Eine Beschreibung ist ein Ausdruck, in dem an Stelle der essenziellen Differenz ein anderes Prädikat, das zu der Sache gehört, gesetzt ist, wie: Der Mensch ist ein zweifüßiges Sinnenwesen, ein aufrechtes Sinnenwesen, usw. Die beiden ersten Bedingungen für eine Wesensdefinition sollten auch auf eine Beschreibung zutreffen, wenn sie gut sein soll.

Die strenge Interpretation, oder die Definition des Namens ist das, was erklärt, was durch das Wort bezeichnet wird; und was geeignet ist, zu einer Definition des Sinnes der Sache (Realdefinition) zu werden durch Zuhilfenahme eines Postulates; oder was zu einer Realdefinition wird, wenn es zu der Frage kommt, ob das Ding existiert und diese Frage zustimmend beantwortet wird.

Es gibt ein Beispiel in der Frage des Kontinuums. Ein Punkt ist definiert als das, was keine Teile hat. Diese Definition ist keine Realdefinition, weil fast jeder verneint, daß eine Quantität ohne Teile möglich ist. Aber wenn es zu der Frage kommt ob ein Punkt existiert,
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oder ob ein Kontinuum aus Punkten besteht, die man mathematisch nennt; dann antwortet Zenon zustimmend und bei ihm wird die Definition des Punktes zu einer Realdefinition. Aristoteles verneint und mit ihm bleibt sie die Definition eines bloßen Namens.


1 Realdefinition.
2 Nominaldefinition.
3 Bei Saccheri steht "autonomasticus". Das läßt sich übersetzen mit "selbstbenennend". Das der deutschen Umgangssprache geläufige "selbstverständlich" trifft die Sache aber eigentlich auch recht genau. Um es hier von dem alltäglich eingeschliffenen Gebrauch etwas abzuheben, schreibe ich es mit Bindestrich.

Übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Achim Wagenknecht
Die Logica Demonstrativa im Karlsruher virtuellen Katalog finden.
Die Seitenzahlen in eckigen Klammern beziehen sich auf die Ausgabe der Logica von 1697. Anmerkungen in eckigen Klammern und Fußnoten sind von mir. Für wertvolle Anregungen zur Übersetzung möchte ich mich bei Herrn Christoph Kann bedanken.
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Zuletzt aktualisiert am 09.02.2006