Viertes Kapitel: Über die Definition
Erster Lehrsatz1:
Die essentielle Definition ist kein notwendiges Prinzip des Wissens. Beweis.
[Syllogismus:]
[A] Das ist nicht ein notwendiges Prinzip des Wissens, was eine wissensmäßige
Konklusion ist. [B] Eine essentielle Definition kann aber eine wissensmäßige
Konklusion sein. [K] Deshalb ist eine essentielle Definition kein notwendiges
Prinzip des Wissens.
Der Obersatz ist klar, denn [Syllogismus:]
[C!] das, was ein notwendiges Prinzip des Wissens in irgendeiner Gattung
oder Ordnung ist, kann nicht in derselben Ordnung irgendetwas vor sich
haben. [D!] Aber das was eine wissensmäßige Konklusion ist,
hat etwas anderes, welches ihm vorausgeht, nämlich die Prämissen.
[A] Deshalb ist das kein notwendiges Prinzip des Wissens, was eine wissensmäßige
Konklusion sein kann.
Der Untersatz wird nun bewiesen [Syllogismus]:
[E!] Anstelle der essentiellen und strengen Definition kann eine weniger
strenge und deskriptive Definition gesetzt werden. [F] Aber eine deskriptive
Definition ist ein hinreichendes Prinzip, von dem eine essentielle Definition
abgeleitet werden kann. [B] Also kann die essentielle Definition eine wissensmäßige
Konklusion sein.
Beweis des Untersatzes.[Syllogismus]
[G!] Die deskriptive Definition, wenn sie korrekt ist, gehört
nur zum Definierten und zu jedem Definierten; [H] von einem Prädikat
aber, das zu jedem der definierten Dinge und nur zu diesen gehört,
kann eine essentielle Definition abgeleitet werden. [F] Also ist die deskriptive
Definition ein hinreichendes Prinzip, aus dem
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eine essentielle Definition abgeleitet werden kann.
Beweis des Untersatzes.[Syllogismus:]
[I!] Ein Prädikat, das zu allen definierten Dingen und nur zu
diesen gehört, ist ein Ausdruck, der vertauschbar ist mit jedem anderen
Prädikat überhaupt, das zu allen den definierten Dingen und nur
zu diesen gehört, wie leicht bewiesen werden kann.2 [J!]
Aber die essentielle Definition ist eines der Prädikate, die auf alle
definierten Dinge und nur auf diese anwendbar sind. [H] Deshalb ist ein
Prädikat, das auf alle definierten Dinge und nur auf diese zutrifft,
vertauschbar mit einer essentiellen Definition. Also kann aus einem Prädikat,
das allem Definierten und nur diesem zukommt, eine essentielle Definition
abgeleitet werden.
[K] Weshalb die essentielle Definition kein notwendiges Prinzip des
Wissens ist. Was zu beweisen war.3
Um der Klarheit willen sei dies ein Beispiel. Die essentielle Definition
von subkonträren Propositionen ist, daß sie die Kontradiktionen
zweier konträren Propositionen sind. Ihre Beschreibung ist, daß
sie Propositionen sind, deren Form ihnen erlaubt, zusammen falsch zu sein,
aber nicht genauso, zusammen wahr zu sein. Nichtsdestotrotz haben wir aus
dieser Eigenschaft subkonträrer Propositionen ihre essentielle Definition
bewiesen, wie es im sechsten Folgesatz nach Lehrsatz acht in Kapitel vier
beschrieben ist.4
Folgerung
Daher hat man es, daß die essentielle Definition sehr oft der
Ertrag einer langen Reihe von Beweisen über irgendein Objekt ist.
Denn die Gattung und die nächste Differenz kann nicht anders bestimmt
werden5, außer nach langer Untersuchung der Eigenschaften
oder Prädikate, die zu einem Gegenstand gehören. Ich sagte
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oft, weil es passieren mag, daß die Nominaldefinition, die am
Anfang aufgestellt worden ist, die essentielle Definition selbst ist. Daß
es sich aber um die essentielle Definition handelt, kann kaum am Anfang
festgestellt werden, wie die Erfahrung zeigt. Weshalb wenigstens die rückbezogene
Kenntnis, daß irgendeine Definition essentiell ist, immer das Ergebnis
einiger Beweise sein wird.
1 Da die Logica vermutlich aus einem Vorlesungsskript entstanden ist,
habe ich Propositio mit Lehrsatz übersetzt.
2 I formalisiert: [/\y:(y=x=>Py) & (x#y=>-Py)&(x=y=>Qy)&(x#y=>-Qy)]=>
[Py]. Das kann tatsächlich leicht bewiesen werden.
3 I!+J!=>H, G!+H=>F, E!+F=>B, C!+D!=>A, A+B=>K.
C=Def(Prinzip), D=Def(Konklusion), R2=>G,J; E,I: Behauptungen.
4 Im ersten Teil der Logica.
5 Constare potest de genere.