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Polizeigewerkschaften bis 1935

  1. Einleitung

  2. Kommentar der GdP
  3. 1882-1913
    Regionale Gründungen
  4. 1913-1915
    Berlin
  5. 1915-1918
    Preußen
  6. 1918
    Revolution
  7. 1920
    Kapp-Putsch
  8. 1919-1931
    Reichsgewerkschaft
  9. 1933
    Machtübernahme
  10. Ausblick nach 1935
  11. Fazit
  12. Chronologie
  13. Register
  14. Bibliographie

 

 

3 Gründung der Berliner Schutzmannsvereinigung 1913-1915


Das Jahr 1913 stellt einen ersten Einschnitt dar in der Geschichte der Polizeiverbände. Waren bisher nur regionale Vereinigungen entstanden, so nahm jetzt von Berlin eine Entwicklung ihren Ausgang, die schließlich zu einer reichsweiten Polizeigewerkschaft führte. Von hier an sind die Ereignisse auch besser dokumentiert, Klingelhöllers Darstellung beginnt hier erst, die Schilderungen von Schulte und Gniesmer werden wesentlich detaillierter. Am 28.11.1913 fand in Berlin eine Versammlung von Schutzmännern statt, die mit weit über 1000 Teilnehmern den vom Initiator erwarteten Umfang weit übertraf. Die beabsichtigte Vereinsgründung wurde vom Berliner Polizeipräsidenten einige Tage später ohne Begründung verboten, der Initiator strafversetzt1. Diese harte Haltung ist umso unverständlicher, als es zu diesem Zeitpunkt in Berlin schon Polizeivereine gab. Dazu später mehr.

Neu - oder erstmals überliefert - ist nun, daß zu diesem Zeitpunkt von den Polizeibeamten Strategien entwickelt werden, um das Versammlungsverbot zu umgehen und auf eine legale Verbandsgründung hinzuarbeiten. Das beginnt schon damit, daß Fuhrmann, der Initiator der ersten Versammlung, einen Rechtsanwalt mit seiner Vertretung beauftragt2. Außerdem suchten die Schutzleute in der Folgezeit Unterstützung bei Politikern. So nahm an ihrer zweiten Versammlung im Januar 1914 ein Landtagsabgeordneter teil, das Geleitwort für die erste Nummer ihrer Zeitschrift stammte von einem Reichstagsabgeordneten des Zentrums3, und im Reichstag wurde ihr Anliegen Thema einer kleinen Anfrage4. In der Debatte zu dieser Anfrage kommen nun auch die Gründe für das Verbot zu Sprache. Zunächst wird von einem Mitarbeiter des Reichsinnenministers das Verbot gerechtfertigt. Er nennt die Sorge um die Disziplin der Polizeibeamten als Verbotsgrund. Abgesehen davon wird das Recht des Dienstherren, ein solches Verbot auszusprechen, als selbstverständlich hingestellt und auf einen fast gleichzeitigen ähnlichen Vorgang im demokratischen London verwiesen5. Die Ausführungen dieses Redners bleiben jedoch wenig überzeugend. Die Sorge um die Disziplin kommt nur allgemein zum Ausdruck und wird nicht mit konkreten Verfehlungen von Polizeibeamten begründet. Am überzeugendsten legt die Verbotsgründe ein Fürsprecher der Schutzmänner, der Abgeordnete Gröber vom Zentrum dar6. Er zitiert dazu den preußischen Innenminister mit den Worten:

"Gesellige und Wohlfahrtszwecke können übrigens im Rahmen der mit Genehmigung des Polizeipräsidenten bestehenden kleineren Vereine bei den Hauptmannschaften ausreichend verfolgt werden."

und führt dann weiter aus:

"Also da sehen wir in den tiefsten Gedanken dieses Verbots hinein. Kleinere Vereine in den einzelnen Polizeibezirken sind genehmigt worden, die werden geduldet, - ein Gesamtverein aber wird nicht geduldet. Der könnte wahrscheinlich nach Meinung der Herren eine gewerkschaftliche Bedeutung gewinnen, und das will man nicht."
Verhandlungen des Reichstages Bd.292 S.7034A-D

Diese Überlegung paßt auch zu den Berichten über den unerwartet großen Zulauf zu der Versammlung vom 28.11.1913. Das Argument ist deshalb so überzeugend, weil hier konkret ausgesprochen wird, was den geplanten Verein von den schon bestehenden unterscheidet: seine nach der ersten Versammlung zu erwartende Größe, und seine Ausdehnung auf ganz Berlin im Gegensatz zu Vereinen, die sich auf kleinere Gebiete (=Hauptmannschaften) beschränken.

Es fanden sich aber in der Folgezeit für die Polizeibeamten Möglichkeiten, das Versammlungsverbot zu umgehen, und zwar zunächst durch Geheimversammlungen von Vertrauensleuten7. Wenn die weiteren Ereignisse den starken Eindruck einer geplanten Strategie erwecken, so steht zu vermuten, daß dieses geheime Gremium die Planung in der Hand hatte. Es ist jedoch fraglich, ob darüber Dokumente bestehen. Klingelhöller erwähnt zwar regelmäßige Protokolle über die Geheimsitzungen, gibt aber keinen Hinweis, ob und wo diese noch existieren könnten8.

Eine Möglichkeit, sich öffentlich zu versammeln, lieferten den Schutzleuten die Vorgesetzten selbst, und zwar durch die Strafversetzung der Versammlungsleiter. Als diese die Reise zu ihren neuen Dienststellen antraten, erschienen zum Abschied Hunderte von Kollegen auf dem Bahnhof, es wurden Reden gehalten und am nächsten Tag folgerichtig von der Obrigkeit wieder Disziplinarmaßnahmen verhängt9.

Ein etwas makabrer Anlaß zu Versammlungen waren Beerdigungen. Wenn ein Schutzmann irgendwo in Groß-Berlin verstarb, so gingen Traueranzeigen an alle Polizeistationen, und mehrere Hundert Kollegen erschienen, um ihrem Kameraden die letzte Ehre zu erweisen, und beim Leichenschmaus eine Versammlung abzuhalten10.

Zur Strategie der Berliner Schutzleute gehörten auch Tarnorganisationen, und zwar der Verein ehemaliger Schutzleute und der Verein der Schutzmannsfrauen, die beide im Frühjahr 1914 gegründet werden. Über die Tätigkeit dieser Vereine wird nichts mitgeteilt. Sie lösen sich nach der offiziellen Verbandsgründung 1915 wieder auf11.

Außer diesen Umgehungen des Versammlungsverbotes ergriff man weitere Maßnahmen, um eine Vereinsgründung vorzubereiten. So wurde eine Zeitschrift gegründet, die ein privater Verleger herausgab. Der war jedoch nur ein Strohmann und wurde nach erfolgter Gründung von dem Verband als Generalsekretär angestellt12. Er kassierte auch von dem Abonnementspreis nur die Hälfte, und der Rest wurde bei einem Rechtsanwalt für die Vereinsgründung hinterlegt. Die Vertrauensleute warben Abonnenten und gaben die Adressen aller Kollegen weiter13. Anfang 1915 wurde in den Bezugspreis dieser Zeitschrift der Beitrag zu einem Sterbegeldunterstützungsstock eingeschlossen, was die Obrigkeit vergeblich zu verhindern suchte14. Diese Sterbekasse gab den Vertrauensleuten die Möglichkeit, etwas offener aufzutreten. Als Mitte 1915 eine als Familienfest getarnte Versammlung bekannt wurde, zeigte sich, daß der Widerstand der Obrigkeit nachgelassen hatte. Statt mit Disziplinarmaßnahmen reagierte man jetzt mit Gesprächsangeboten, und am 13 Dezember 1915 konnte sich der "Verband der Kameradenvereine Königlicher Schutzleute des Landespolizeibezirkes Berlin" offiziell gründen. Er hatte bei seiner Gründung 6.000 Mitglieder15. Das entspricht bei etwa 7.000 Schutzmännern16 einem Organisationsgrad von ungefähr 85%.

Diese Ereignisse sind bei Liang und später bei Wehner stark verkürzt wiedergegeben worden. Diese Autoren erwecken den Eindruck, die Polizisten hätten sich erst nach Beginn des ersten Weltkrieges für die Gründung ihrer Gewerkschaft eingesetzt17. Unter dieser Voraussetzung läge die Vermutung nahe, die Verbandsgründung sei in irgendeiner Form durch den Krieg mit motiviert worden. Das ist in dieser Form jedenfalls nicht richtig. Die Idee, sich zusammenzuschließen, hatte schon vor dem Krieg zahlreiche Anhänger unter den Polizeibeamten. Ein Einfluß des Krieges auf die Ereignisse um die Polizistenverbände ist zwar nicht auszuschließen, besteht aber in der Form, wie ihn Liang und Wehner nahelegen, wohl kaum.

Die Berliner Schutzmannsvereinigung bildete in den folgenden Jahren den Kern der polizeilichen Gewerkschaftsbewegung in Deutschland.


 
1 Klingelhöller S.8
2 Klingelhöller S.9
3 Klingelhöller S.17
4 Anfrage Nr.109, Reichstagsdrucksache 1272, Verhandlungen des Reichstages Bd.303 S.2534
5 Verhandlungen des Reichstages Bd.292 S.7003A-7004A, Redner: Lewald
6 Verhandlungen des Reichstages Bd.292 S.7034A-D
7 Klingelhöller S.16
8 Klingelhöller S.19
9 Berliner Morgenpost vom 7.2.1914 und Berliner Volkszeitung vom 28.2.1914, zitiert bei Klingelhöller S.14-15
10 Klingelhöller S.18
11 Staatsbürgerzeitung vom 8.3.1914, sowie Berliner Allgemeine Zeitung vom 12.3.1914, beide zitiert bei Klingelhöller S.16
12 Klingelhöller S.20
13 Klingelhöller S.17, eine Vorgehensweise, die nach dem heutigen Verständnis von Datenschutz zumindest problematisch wäre.
14 Klingelhöller S.18
15 Klingelhöller S.7
16 Verhandlungen des Reichstages Bd.292 S.7038D, die Angabe stammt von 1914.
17 Liang S.37, Wehner: Die (Kriminal-) Polizei und der Nationalsozialismus, in: Polizei in Düsseldorf, Jg.1989, Düsseldorf 1989 S.80. Von dieser Vermutung war ich ursprünglich ausgegangen. So schreibt Wehner: "Erst nach Kriegsbeginn (...) gewann der Gewerkschaftsgedanke in der Polizei immer mehr Anhänger", und Liang: "Es ist bemerkenswert, daß die Polizei-Gewerkschaftsbewegung, die sich vor 1914 überhaupt nicht durchsetzen konnte, während des Krieges zahlreiche Anhänger gewann."  

Entstanden als Hausarbeit zum Hauptseminar: Die Polizei in Geschichte und Gegenwart
Leitung: Prof. Dr. Hans Boldt und Dr. Hans F. Lisken
Wintersemester 1991/92, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Urheberrecht: Achim Wagenknecht
http://achimwagenknecht.de
Zuletzt aktualisiert am 09.02.2006